Wien/Innsbruck, am 13. März 2017 – Der alpine Wintertourismus ist einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige Österreichs, gehört aber auch zu den größten Treibern der Naturzerstörung unserer Gebirgslandschaften. Mit 30.000 Kilometern Länge umspannen die Skipisten der Alpen fast drei Viertel des Erdumfangs, 11.000 Lifte und Seilbahnen stehen bereits zur Verfügung. Dennoch sind alpenweit 164 neue Anlagen geplant, 82 davon in Österreich. Das führt zu einer Überlastung der betroffenen Naturräume.
"Die Spitzenreiter alpiner Landschaftsbelastung sind französische sowie österreichische Skigebiete. Besonders schädlich sind vor allem die Mega-Ski-Resorts in hohen Lagen: Sie zerschneiden Ökosysteme, verkleinern den Lebensraum bedrohter Tier- und Pflanzenarten und verdrängen störungsempfindliche Wildtiere wie Birkhuhn und Schneehase", fasst Josef Schrank vom WWF Österreich die Ergebnisse einer aktuellen Studie von Alfred Ringler zusammen. Der renommierte bayerische Landschaftsökologe hat erstmals alpenweit die ökologischen Auswirkungen von vier Jahrzehnten Skitourismus untersucht und knapp 1.000 Schigebiete hinsichtlich ihres Ökologischen Fußabdrucks verglichen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen dabei ein Dilemma auf: Gerade kleinere Skigebiete in Talnähe, die meist nachhaltiger wirtschaften und einen geringeren ökologischen Fußabdruck haben, werden aufgrund des Konkurrenzdrucks und mangelnder Schneesicherheit häufiger aufgegeben, während die besonders landschaftsschädlichen Groß-Skigebiete in empfindlichen Alpenhochlagen stetig expandieren. Dort ist die ökologische Belastungsgrenze bereits überschritten.
In Österreich betrifft dies beispielsweise die Tiroler Bezirke Kitzbühel – mit der alpen- und vermutlich weltweit höchsten Dichte an Skianlagen – Landeck, Kufstein, Zell am See oder Schwaz. Das Skigebiet mit dem alpenweit größten ökologischen Fußabdruck ist Sölden, trotzdem soll es weiter ausgebaut werden.
Der Bau und Betrieb der Wintersportzentren beeinträchtigt fast alle Lebensräume und Arten in den Alpen und beeinflusst auch die Stabilität der Gebirgslandschaft. Dies kann Hangrutschungen und Muren auslösen oder gar verstärken.
"Pistenplanierungen, Zufahrtsstraßen, Waldrodungen und der
aufwändige Bau von Beschneiungsanlagen haben in unseren
Gebirgslandschaften eine Spur der Verwüstung gezogen", gibt Liliana Dagostin vom Österreichischen Alpenverein Ergebnisse aus der Studie wieder.
"Ganze Landschaften werden umgebaut, um die Pisten an die Bedürfnisse des Durchschnittsskifahrers und an die Erfordernisse der Beschneiung anzupassen. Wenn die alpinen Ökosysteme nicht über kurz oder lang zusammenbrechen sollen, braucht es Endausbaugrenzen für den Skitourismus. Besonders Anlagen in den höchsten Gebirgsregionen, in der Permafrostzone oder in Mooren und Quellgebieten dürfen in Zukunft nicht mehr bewilligt werden", so Dagostin.
Alpenweite
Bewertung von fast 1.000 Skigebieten mittels Eingriffsindex
(Flächenverbrauch, Rodungen, Planierungen, Erosionsflächen, Beschneiung
u.a.).
Je höher der Eingriffsindex (Zahl in Klammer) eines Skigebiets, desto
größer ist seine Landschaftsbelastung. Die vorangestellte Zahl gibt den
Platz im alpenweiten Ranking wieder.
Die Abgrenzung und Bezeichnung der Skigebiete orientiert sich an der landschaftsökologischen Zusammengehörigkeit und kann daher Unterschiede zu Angaben von Skigebietsbetreibern oder Tourismusstatistiken aufweisen.
Tirol
1. Sölden (120)
3. Ischgl (105)
13. Obergurgl-Hochgurgl (95)
Salzburg
27. Leogang-Saalbach Hinterglemm (85)
43. Kaprun-Kitzsteinhorn (80)
44. Schmittenhöhe (80)
Kärnten
21. Innerfragant (88)
35. Kleinkirchheim/ St.Oswald (84)
93. Naßfeld (64)
Steiermark
12. Schladming-Skischaukel (95)
83. Galsterbergalm (66)
115. Spital am Semmering (63)
Vorarlberg
71. Hochkrumbach-Arlberg-Zürs (70)
178. Gaschurn-Gallenkirch (56)
179. Schruns/ Sennigrat (56)
Oberösterreich
74. Obertraun/ Krippenstein (69)
108. Grünau/ Almtal (63)
131. Hintertal/Gosau (60)
Niederösterreich
130. Unterberg (60)
162. St. Corona am Wechsel (57)
163. Mönichkircher Schwaig (57)
Die ökologischen Auswirkungen der Skigebiete hängen neben ihrer Größe
vor allem von ihrer Lage im Bergmassiv ab.
So befinden sich die steirischen und niederösterreichischen Skigebiete meist in Talnähe oder reichen in die montane Waldzone, während sich die 17 Mega-Ski-Resorts Österreichs in Tirol (neun Gebiete), Salzburg (fünf), Kärnten, der Steiermark und Vorarlberg (jeweils eines) über ganze Berge oder mehrere Bergmassive ziehen. Das belastet die Landschaft am stärksten.
Alpenweit sind 55 Mega-Skigebiete in Frankreich (20), Österreich
(17), Italien (zehn) und der Schweiz (acht) größer als 2.000 Hektar.
Der Skibetrieb trifft dort auf sensibelste Ökosysteme, die sich von
brachialen Eingriffen wie Grat- und Kammdurchbrüchen oder Sprengungen
jahrzehntelang nicht erholen können.
Der Wintertourismus setzt
aber nicht nur die Zukunft alpiner Arten und wertvoller Lebensräume
unverantwortlich aufs Spiel, sondern gefährdet auch wesentliche
Ökosystemleistungen. Durch die Rodung von Latschenfeldern und
die Bodenverdichtung auf den Pistenflächen steigt die Erosionsgefahr und
leidet die Trinkwasserneubildung.
>> Für
den WWF Österreich und den Österreichischen Alpenverein ist ein
alpenweites, rechtsverbindliches und allseits respektiertes Raumkonzept
die wichtigste Forderung, die sich aus der Studie ergibt. Zu einer
verantwortungsvollen Raumplanung, mit der die Nutzung des Bodens
vorausschauend organisiert und der Flächenverbrauch möglichst gering
gehalten wird, gehören auch rechtsverbindliche Ausschlusszonen für den
Ausbau. <<
Gerade vor dem Hintergrund des
Österreichischen Vorsitzes in der Alpenkonvention muss der
Umweltminister noch 2017 die Entwicklung von alpenverträglichen
Tourismus- und Mobilitätskonzepten anstoßen – sowohl für den Winter als
auch für den Sommer!
Die gesamte Studie wurde im Jahrbuch
2016/2017 des Vereins zum Schutz der Bergwelt publiziert und steht auf
der Homepage des Vereins zum Download bereit: Alfred Ringler: "Skigebiete der Alpen: landschaftsökologische Bilanz, Perspektiven für die Renaturierung" - Jahrbuch 2016/17 des VZSB (17,3 MB).